Sonntagmorgen 10
Uhr. Ich werde wach, aber lasse meine Augen noch eine Weile geschlossen. Das
mache ich immer so. Mein Kopf schmerzt. Ist eigentlich nichts ungewöhnliches für
einen Sonntagmorgen. Von weit her höre ich „Sexual Healing“ von Marvin Gaye.
Nein, nicht von weit her. Aus dem Inneren meines Kopfs. Oh du lieber Jesus, was
habe ich bloss wieder gemacht? Ich denke an meinen Sohn. Er zieht immer das
Papa in die Länge, wenn er etwas fragen will. Was er mich wohl jetzt fragen würde?
Papaaaa?
Langsam öffne ich
meine Augen. Nein, das ist nicht mein Zuhause. Wo bin ich? Langsam schiebt sich
eine Person in mein Blickfeld. Als es meine Augen schaffen die Schärfe richtig
einzustellen, kommt eine Krankenschwester zum Vorschein. Eine japanische
Krankenschwester. Na toll, wieder einer dieser J-Porn-Träume. Muss das sein?
Aus dem Augenwinkel sehe ich meinen Kollegen auf einem Stuhl am Fussende des
Bettes sitzen. Er schläft, den Kopf vornüber gebeugt. Typisch Japaner. Also
doch kein Traum. Jedesmal wenn er zu weit nach unten wegnickt, schnellt sein
Kopf automatisch wieder hoch in eine Art Schwebezustand. Sieht interessant aus.
Er hat einen Stoppelbart, sein Hemd ist voller Flecken und er sieht generell
scheisse aus. So eine Nacht war es also wieder......
Noch immer steht
die Krankenschwester schweigend am Bett. Naja, eine Schönheit ist sie nicht.
Ich aber auch nicht. Ich sehe mein Gesicht im Spiegel, den sie mir wortlos vor
das Gesicht hält. So sieht man also aus, wenn man nichtsahnend im Krankenhaus
aufwacht. Meine Augen sind blutunterlaufen und meine Lippen sehen rissig aus.
Hm, alles ganz normal für einen Sonntagmorgen, bis ich den grossen blauen Fleck
auf meiner Stirn sehe. Meine Hand langt zu der Stelle, doch die
Krankenschwester ist schneller. Sie hält meine Hand fest und schüttelt den
Kopf. Vielleicht kann sie nicht sprechen?
„Kawase!“ „KAWASE!!“
„Wach auf!“ Der Schmerz in meinem Kopf zieht sich wie eine Gewitterwolke über
dem blauen Fleck zusammen. Und da kommt auch schon der Blitz. Kraftlos lasse
ich mich auf das Kissen fallen. Langsam ebbt der Schmerz ab. Kawases Wasserkopf
schiebt sich in mein Blickfeld. Steht ihm gut, der Stoppelbart. Sieht irgendwie
männlich aus. Er grinst mich an.
„Mensch, Kawase.
Was habe ich gestern wieder gemacht?“
„Du? Gar nichts!
Du bist auf einmal umgefallen!“
„Umgefallen?
Einfach so?“
„Ja, einfach so.
Wie ein Sack Reis. Und du bist voll mit dem Kopf auf die Erde geknallt! Hoho,
das hat vielleicht geknackt!“
„Wtf?? Wieso denn
das?“
„Was weiss ich?“
Du warst den ganzen Abend schon nicht gut drauf! Auf jeden Fall haben sie dich
abgeholt und ins Krankenhaus gebracht. Sie sagen, du hattest einen Schwächeanfall.“
„Ich? Einen Schwächeanfall?
Quatsch nicht!“
Mensch! Kopfbeule! KOPFBEULE! Nicht so ne Beule! Scheiss Google! |
Als ob sie ihm
zustimmen will, nickt die Krankenschwester heftig mit dem Kopf. Vielleicht kann
sie wirklich nicht sprechen?
„Sie haben dir
den Magen ausgepumpt. Du hättest Medikamente und Alkohol konsumiert. In rauhen
Mengen!“
Und wieder nickt
die Krankenschwester heftig.
„Aber..... Ich.......
was?“
Über mir schwebt
das Damoklesschwert des Schmerzes und drückt mir auf meine Kopfbeule. Langsam
puzzle ich den vorherigen Tag wieder zusammen. Ja, ich habe tatsächlich
Medikamente genommen. Am Morgen hatte ich leichtes Fieber. Sicher nur eine
leichte Grippe. Naja, ich hätte vielleicht doch nicht die ganze Flasche „Vick
Medinait“ (Hier in Japan heisst es Vick, nicht Wick....) trinken sollen. Aber
das schmeckte so lecker. Und danach hätte ich vielleicht nur eine Grippekapsel
nehmen sollen anstatt 3. Und am Nachmittag hab ich mir noch einen „Erkältungs-Power
Up-Drink im Drugstore geholt. Na gut, waren 2. Danach ging es mir auch schon
viel besser. Klar, auf all dem Zeugs stand drauf, das man nach der Einnahme AUF
GAR KEINEN FALL ALKOHOL TRINKEN DARF!!! Aber wer achtet schon darauf? ICH! Ab
jetzt! Isch schwör ey, Alter!
Papaaaa?