Gerechtigkeit?

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So, nun gehts wohl weiter. Die meisten dürften festgestellt haben, das ich nicht mehr in Japan lebe. Seit über 3 Jahren. Warum? Ist ne lange Geschichte. Hm, wie fange ich am besten an? 

Ich mach einfach mal...


Also...


Während Corona in Japan in vollem Gange war, ich mich von einer sehr schweren Krankheit erholt habe und von meinen Ersparnissen lebte, wurde mir eines Tages ein Brief vom Familiengericht in Tokyo zugestellt. Laut Brief war ich Angeklagter in einem Zivilprozess und sollte mich schriftlich zu den erheblichen Anschuldigungen äußern. Gesagt, getan. Erstmal habe ich natürlich all meine Korrespondenz mit dem Kläger (meine J-Ex..) gesammelt, katalogisiert und aufbereitet, um ALLE Vorwürfe komplett zu entkräften und habe dann einen Anwalt für Familienrecht kontaktiert. Einen Japaner, der sich angeblich mit solchen Fällen auskennt. Also ab nach Tokyo, in ein riesiges Parkhaus, in dem zur Coronazeit kaum ein Auto stand. War schon irgendwie creepy, sich durch die leeren Gänge zu bewegen.


Das Gespräch beim Anwalt ging in etwa so ab:


Anwalt: "Hm, ja. Da haben sie ja etliche Daten, um ihre Unschuld zu beweisen. Ich rate ihnen, einfach alles zuzugeben, die verlangte Kompensation zu zahlen und ihr Leben weiterzuleben. Die Richter werden von Anfang an gegen sie sein und sie werden verlieren."


Ich: "Ja, aber.... ich kann doch alles entkräftigen."


Anwalt: "Jaja, ich weiß. Aber erstmal muss die komplette schriftliche Dokumentation ins Japanische übersetzt werden, sie brauchen einen Übersetzer vor Gericht und bevor ich auch nur mein Mandat beim Gericht einreiche, bekomme ich von ihnen so um die 3 Millionen Yen (zu dem Zeitpunkt ca. 20.000 Euro...) als Anzahlung auf mein Honorar. Jeder Termin vor Gericht kostet sie zusätzlich ca. 500 - 700 Euro. Die verlangte "Kompensation" sind 5 Millionen Yen (zu dem Zeitpunkt ca. 35.000 Euro...), die wegen ihrer de facto Arbeitslosigkeit mit Sicherheit auf ca. 30 - 40% der Summe reduziert wird. Also geben sie alles zu, zahlen die "Kompensation" und gut ists. Ist billiger."


Nun, das war nicht meine Vorstellung von Gerechtigkeit, also habe ich einen ehemaligen Anwalt für Familienrecht als Übersetzer angeheuert und habe mich vor Gericht selbst vertreten. Da hat den Richter und seine Beisitzer beim ersten Gerichtstermin so dermaßen verwirrt, das sie einen neuen Termin angesetzt haben. 3 Monate später...


Mein Übersetzer war von Anfang an der Meinung, dies wäre ein absolut typischer Fall, das es hier nicht um die Kompensation geht, sondern das mir, ganz egal wie die Termine laufen, früher oder später ein "Versorgungsvertrag" aufgedrückt wird. Kurz zur Erklärung: In Japan waren zu dem Zeitpunkt geschiedene Väter nicht automatisch dazu bestimmt, nach einer Scheidung Unterhalt für Exfrau und Kind(er) zu bezahlen. Die meisten japanischen geschiedenen Väter entzogen sich diesen Zahlungen simpel und einfach durch einen Umzug in eine andere Präfektur und waren somit komplett vom Radar. Im Falle von Tokyo ist dies meistens Kanagawa, bzw. die Stadt Yokohama. So wie Tokyo die Singlemama-Metropole genannt wird, ist Yokohama die Stadt der geschiedenen Väter. Und seitdem hat sich an der Situation wohl wenig bis nichts geändert. Lest gern mal im Net nach. Ihr werdet staunen.


Natürlich habe ich von Anfang an Unterhalt für meinen Sohn bezahlt. Deutlich mehr, als vom Familiengericht empfohlen. Ich habe auch freiwillig Unterhalt für meine Exfrau bezahlt. Aber eben nur freiwillig. Als die Forderungen jedoch immer höher wurden und meine Ex öfters wochenlang allein im Ausland war, um dort ihre Internetfreundschaften zu "pflegen", habe ich die Zahlungen an sie komplett eingestellt. Und das fand sie wohl nicht so gut. 


Im Internet gab und gibt es genug Beispiele von Fällen, in denen ausländischen Vätern in Japan komplett alle Rechte am Kind entzogen wurden und das es zumindest vor japanischen Gerichten, kaum Chancen gibt, diese Rechte erfolgreich einzuklagen. Gerichtsurteile zugunsten des Vaters aus dem Ausland, interessieren die japanische Rechtsprechung nicht und werden nicht anerkannt. Selbst in Fällen, in denen japanische Exfrauen ihre Kinder aus dem Ausland zurück nach Japan entführt haben, gibt es absolut keine Chancen auf Einigung. Als ausländischer Vater, gibt man seine Rechte an seinen Kindern am Rathausschalter ab. Im japanischen Juminhyo (Melderegister, Familienregister) steht der ausländische Vater ganz unten. Familienvorstand ist immer die japanische Frau. Nach einer Scheidung, wird man als Vater als Single und kinderlos im Juminhyo eingetragen. Yup.


Nun gut, weiter im Gericht. Gegen mich gab es am Anfang über 30 Anklagepunkte, die ich einen nach dem anderen widerlegen konnte. Darunter so Sachen wie: Seelische Grausamkeit, Belästigung, das in Japan bei Exfrauen sehr beliebte "Power Harassment", usw. Dabei bin ich, um meiner Ex aus dem Weg zu gehen, in die Einöde von Shizuka gezogen. Und ich war dort glücklich. Und das hat so manchem nicht gefallen.


Trotz all meiner Beweise, hat der Richter keinen Zweifel daran gelassen, das ich in seinen Augen schuldig war. Der Anwalt meiner Ex hat mehrfach rassistische Aussagen vor Gericht gemacht, z.B.: Das solchen Ausländern wie mir das Visum entzogen werden sollte und das wir Ausländer die japanische Kultur nicht respektieren, usw. Während ich meine schriftlichen Aussagen von einem zertifiziertem Übersetzer einreichen ließ, wurde der Gegenseite erlaubt, die schriftlichen Aussagen selbst zu übersetzen, oft sehr "günstig" artikuliert und oft mit Vermerken, wie: Dies ist eine Lüge, usw. In anderen Rechtsstaaten absolut unmöglich. Diesen eindeutigen Interessenkonflikt hat der vorsitzende Richter trotzdem erlaubt. Weil die Klägerin halt kein Geld für einen Übersetzer hat. Aha!?! Nun, für einen Tokyoter Anwalt hat es wohl gereicht. 


Mein Übersetzer (danke, Makoto!) hatte mir von Anfang an dazu geraten, den Prozess durch zwar fristgerechte, aber "in letzter Minute" eingereichte Dokumente, künstlich in die Länge zu ziehen. Wohl wissend, das auch der Gegenanwalt fürstlich bezahlt werden wollte. Nur allzu oft, mussten die Termine verlegt werden, damit der Gegenanwalt eine Chance hatte, meine Dokumente zu prüfen. Und so zog sich der Prozess in die Länge. Über 2 Jahre. Die Richter wurden 2 mal ausgetauscht. Letztendlich hatte Makoto recht: nach knapp 2 Jahren wurde mir der Entwurf eines Versorgungsvertrages vorgelegt und bei Unterschrift wäre die Anklage zurückgezogen worden. Laut diesem Vertrag sollte ich auch für meinen Sohn zahlen, wenn er mit seiner Mutter ins Ausland ziehen würde. Die jährliche Summe betrug ca. 3 Millionen Yen (ca. 20.000 Euro), mit zunehmendem Kindesalter steigend bis auf 5 Millionen Yen (ca. 35.000 Euro). Plus Aufwendungen für Sportvereine, Klassenfahrten, Nachhilfe, usw. Ja, genau.


Ich muss hier nochmal etwas erklären: Ich habe meinem Sohn einen sehr angemessenen Unterhalt bezahlt. Alle laufenden Kosten wurden gedeckt. Von mir allein. Er war fast jedes Wochenende und während der Ferien bei mir. Nicht weil er musste, sondern weil er es wollte. Es ging mir also nicht darum, mich den Unterhaltszahlungen für meinen Sohn zu entziehen. Ganz im Gegenteil. Ich habe alles für ihn getan. Aber eben nur für ihn, nicht für meine Exfrau. Es ging mir um Gerechtigkeit. Ich habe nichts von dem getan, was mir in der Anklage vorgeworfen wurde, hatte aber trotzdem große Angst, das ich den Prozess letztendlich verlieren würde. Ganz am Anfang, als der erste Gerichtsbrief ins Haus flatterte, habe ich mir gesagt: "Wenn ich diesen Prozesse verliere, verlasse ich Japan sofort."


Nun, ich habe den Prozess nicht verloren. Das verdanke ich keinem japanischen Anwalt, sondern Makoto, meinem "Anwalt in Rente", der für mich vor Gericht übersetzt hat. Alle Anklagepunkte wurden widerlegt, die Kosten des Verfahrens musste der Kläger tragen. Es gab ein Gutachten, das die Übersetzung der Aussagen der Gegenseite als inkompetent und stark fehlerbehaftet ansah. Und den Vertrag habe ich natürlich nicht unterschrieben. Der einzige Tadel vom Richter war, das ich den Prozess zu Ungunsten der Klägerin in die Länge gezogen habe. Tja, da hatte er wohl recht. 


Trotzdem hatte ich nach all dem das Vertrauen in Japan verloren. Bei mir ging es nur um eine "Kompensation" in einem Zivilgericht. Wie hätte es in einem richtigen Strafprozess ausgesehen? Was, wenn sich meine Ex noch etwas deutlich wilderes hätte einfallen lassen? Durchaus kein Einzelfall. Die Internetberichte über Prozesse gegen Ausländer in Japan zeichnen ein deutliches Bild.  


Es war sicherlich keine Herzensentscheidung, denn ich war glücklich auf "meinem Berg". Ich habe das Leben in Japan geliebt. Aber mein Kopf war stärker. Corona half sicherlich auch bei meiner Entscheidung. Innerhalb von 5 Minuten nach Erhalt des Urteils stand für mich fest, das ich Japan verlassen werde. Wohin nach 17 Jahren Japan? Nun, das war ein wilder Ritt und eine ganz andere Geschichte.


Gehabt euch wohl..





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