Schritt 2

18

Desintegration

Unter Desintegration versteht man die Auflösung eines sozialen Zusammenhalts innerhalb einer Gruppe, die sich bei sozialem Wandel, insbesondere der Modernisierung, ergibt. Von Desintegration können Staaten, Gesellschaften, soziale Schichten oder Gemeinschaften wie etwa Familien betroffen sein. Desintegration führt bei den betroffenen Gruppen und Individuen zu Desorientierung, die nach Wilhelm Heitmeyers Desintegrationstheorem eine wesentliche Ursache der Entstehung von Gewalt ist. (Wikipedia)


Dampfgekocht steige ich aus dem Zug. Klar, ist ja jetzt Winter, da muss man bei 17 Grad Aussentemperatur den Zug unbedingt auf 25 Grad hochheizen. Nicht das man nachher noch gesund bleibt. Im Sommer wird man draussen gekocht, im Winter drinnen. Nein, Herbst gibt es in Tokyo nicht. Fertig, aus, basta! Zusammen mit den anderen Borgs strebe ich in Richtung Ausgang. Ja, Borgs. Das sind die meisten Japaner für mich. Gleichgeschaltete Menschen, denen jeder Individualismus schon von Kindesbeinen an ausgetrieben wird. Fast wie im Kommunismus. Und gibt es dann man Individualisten, dann sind sie so derart abgedreht, das man eigentlich sie Gaijin nennen muss und nicht uns Ausländer.

Nein, auch nicht richtig. Eigentlich sind die Japaner die Gaijin, nicht wir, die Ausländer. Fertig! Ich hab die Schnauze voll davon, ständig als Aussenstehender behandelt und tituliert zu werden. Wer ist denn hier der Aussenstehende? Ihr seid die verdammten Gaijin! Ihr Japaner wollt doch immer als etwas “besonderes” gelten. Als die reinste Rasse, abstammend von einem Göttergeschlecht. Ja, ihr seid eine ziemlich reine Rasse. Jahrhundertelange Abschottung vom Rest der Welt und damit praktisch einhergehende Inzucht haben wirklich ganze Arbeit geleistet.

Sieht man sich so in der deutschen Bloggerszene in Japan um, gibt es kaum einen Blog, in dem die tatsächliche Situation so wiedergegeben wird, wie in meinem. Fast alle dieser Blogs befassen sich mit der tollen Kultur, den tollen Leuten, dem tollen Essen, der tollen Landschaft, bla bla. Ihr seid nicht viel herumgekommen, was? Schaut man sich dagegen in der viel grösseren englischsprachigen Bloggerszene um, findet man dort naturgemäß viel mehr Blogger, die mit mir auf einer Wellenlänge liegen. Vieles hier in Japan stinkt zum Himmel! Der ständige unterschwellige Rassismus zum Beispiel geht mir tierisch auf den Sack! Ja, Rassismus. Was ist es denn, wenn man jeden Ausländer ausgrenzt und dafür sogar ein Wort hat. Gaijin. Sag doch mal in Deutschland (oder von mir aus irgendeinem anderen Land): „Wer? Ach der Ausländer! Ja, der ist da. Augenblick, ich verbinde.“ Oder sag doch mal zu Erkan: “Für einen Aussenstehenden kannst du aber wirklich gut ......... (hier selbst irgendeine selbstverständliche Tätigkeit einsetzen).

Tja, dann kriegst du eine aufs Maul. Oder wenigstens massiven Ärger. Sowas kann man sich 2013 in der globalisierten Welt einfach nicht mehr bringen. Nein, auch die Japaner nicht! Und wenn sie das bisher nicht kapieren, dann müssen WIR “Aussenstehenden“ es ihnen eben immer wieder einbläuen! Nur durch ständige Wiederholung kriegst du die von Kindesbeinen anerzogene „Besonderheit“, diesen pawlowschen Reflex der Einzigartigkeit, aus den japanischen Betonköpfen!

Und auch du, mein lieber Landsmann, der du schon 20 Jahre in Japan lebst. Auch von dir lasse ich mir keine Scheiße mehr erzählen: “Jaja, Gaijin. Die Japaner meinen das doch gar nicht so.“ Doch! Genau DAS meinen sie, mein lieber Landsmann. Nur weil es ständig wiederholt wird und von so manchem noch im 7. Mangahimmel schwebendem Ausländer, oder nach zig Jahren Dauerberieselung schon abgestumpften „Resident Alien“, anstandslos akzeptiert wird, ist es noch lange nicht richtig!

Ich muss leider eingestehen, das viele meiner Probleme hier dadurch entstanden sind, das man von den Japanern immer so „besonders“ behandelt wird. Sei es nun auf der Arbeit oder im Privatleben, in der Ehe oder unter Freunden, immer ist eine Ab- oder Ausgrenzung allgegenwärtig. Immer wieder bekommt man zu hören: "Das verstehst du als Gaijin nicht. Nur wir Japaner machen das so. Das ist halt ein kulturelles Problem. Für uns Japaner ist das schwer zu verstehen. Und so weiter und so fort." Wenn schon einer anfängt mit: "Nur wir Japaner.....", dann fällt es mir schwer, diesem Gespräch ruhig zu folgen und nicht auszuflippen. Diese Probleme werde ich von nun an aktiv bekämpfen. Es geht einfach nicht mehr anders. Ich kann und will mich nicht allein aus Bequemlichkeit anpassen oder unterordnen.

Meine Arbeitskollegen sind mit ihrer Wortwahl schon sehr vorsichtig geworden. Haben sie mich früher oft direkt, oder im Gespräch mit anderen als Gaijin bezeichnet (Oi Yoshi, guck mal was der Gaijin da wieder macht!), passiert ihnen das jetzt nur noch extrem selten. Tja, das man sie im Gegenzug als koreastämmig oder im Extremfall sogar als von Chinesen abstammend bezeichnet, wirkt oft eher als ein klärendes Gespräch.

Uh, ich wohne doch hier und muss mich dementsprechend anpassen? Das tue ich doch! Ich spreche Japanisch, arbeite hauptsächlich mit Japanern, zahle Steuern wie jeder andere auch, halte mich größtenteils an die Gesetze, kaufe bevorzugt japanische Artikel, mache Urlaub in Japan, habe Sex mit Japanerinnen und habe sogar ein Kind mit einer Japanerin. Ich mag Japan! Irgendwie. Und deshalb lasse ich mich nicht mehr ausgrenzen!

Ich freue mich natürlich sehr über alle Kommentare. Trotzdem würde ich mich diesmal besonders freuen, wenn auch die in Japan wohnenden Leser ihre Meinung sagen. Ich weiss das ihr da seid! Lasst es raus! Wenn nicht hier, wo dann?



*Gaijin (Aussenstehender, ausserhalb der Gruppe)

  1. Da ich doch recht kurz erst hier bin kann ich dazu noch gar nichts groß sagen. Ein Gefühl der Abgrenzung habe ich bis jetzt, noch nicht erlebt aber es kommt mir bekannt vor, dass es immer heißt: "Das ist in Japan so o. Japaner sind so, dass verstehst du nicht!" Aber wenn man mal was ablässt aus "Deutschen-Standpunkt" ist das was gaaaaanz anderes. Schließlich sind wir hier in Japan...

    AntwortenLöschen
  2. So unglaublich das Klingen mag, daß die Japaner so unerträglich inkompatibel sind wie sie sind hat für dich auch Vorteile. Ansonsten wär J nämlich ein genauso von Assi-Ausländern überranntes Loch wie es manche Gegenden in Europa sind.
    So, ist das Leben so schwierig, daß sich diese Klientel ohne weiteres wirklich nicht überlebensfähig ist -> weniger Kriminalität etcetera blablabla.

    Die ganzen Möchtegern-Japankenner, die in Ihren Gaijin-Blasen leben, die batikschaltragenden "Kulturinteressierten" und das ganze Geschwaddel darf in diesem Beitrag tatsächlich mal die Fresse halten. Stört mich gar nicht weiter.

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ja Schnuffel. Du weißt ja: Die ganzen Vorteile sieht man mit der Zeit als nur allzu selbstverständlich, während man die Nachteile immer weniger akzeptieren kann. Liegt wohl in der Natur des Menschen. Oder nur in meiner Natur? Weiß nicht......

      Löschen
    2. Da mach dir mal keine Sorgen, so besonders bist du dann doch wieder nicht. Wir sind mindestens 2...

      Löschen
  3. Naja, ich hab mich dazu ja schon breit in meinem eigenen Blog ausgelassen, daher nehme ich an, du kennst meinen Standpunkt. Wenn auch nicht ganz mit deiner Wortwahl, so kann ich voll und ganz unterschreiben, was du hier schreibst.

    Was erwartest du von einer Rasse, die sogar noch im Urlaub im Ausland Sachen wie "Kuck mal, so viele Ausländer!" von sich gibt?

    Die Frage ist, wie willst du gegen eine homogene Betonmasse vorgehen? Köpfe einschlagen? Gehirnwäsche? Japan soweit an Taiwan, Kore oder China ranschieben, dass es keine isolierte Insel mehr ist?
    Viel Glück! :(

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Ich werds einfach nicht mehr hinnehmen. Irgendwo muss man ja anfangen. Ob das im Endeffekt irgendwas ändert? Mal sehen. Ich fühle mich damit auf jeden Fall schon wohler. "Wer sich nicht wehrt, der lebt verkehrt."

      Löschen
    2. Das wird schon mit der Zeit (und den einwandernden Ausländern).

      Löschen
  4. Tja, ich bin natürlich kein solcher Japankenner wie du, weil ich nur 1 Jahr dort (und das auch noch aufm Dorf in ner Schule) verbracht habe. Aber ich finde die Betrachtungsweise etwas einseitig. Japaner mögen ja etwas stur sein, aber die Ursache für diese Art der Ausgrenzung liegt doch in deiner Exotik. Ich meine, was erwartest du von einem Land, in dem Ausländer, die als solche zu erkennen sind, Rarität sind? Wobei ich auch sagen muss, das wort "Gaijin" habe ich in dem ganzen Jahr kein einziges mal gehört. Ich glaube das beginnt sich in der jüngeren Generation zu ändern. Du bist vielleicht einfach zu alt :D Ich will damit nichts rechtfertigen, ich will nur einen Erklärungsansatz liefern, der verstehen hilft. Du triffst auf derartiges Verhalten eigentlich in allen Ländern, in denen Ausländer Mangelware sind. (So gehört aus China, Thailand, Südkorea...)

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Stimmt, du bist nicht so ein "Japankenner" wie ich. Wie auch? Nach einem Jahr als ALT (also Aushilfskasper) ohne Lehramt oder, falls als Englisch-ALT, ohne dementsprechendes Lehramt für Fremdsprachen, oder eine sonstwie geeignete Ausbildung, sollte man weder von Japankenntnissen und Betrachtungsweisen, noch über Ausgrenzung reden. Falls irgendetwas von dem hier erwähnten nicht zutrifft, lasse ich mich sehr gern eines besseren belehren. Ich will dich nicht beleidigen, aber meine Meinung zu dem ganzen ELT-ALT-JET- Mist solltest du eigentlich kennen. Ja, es liegt wohl am Alter. Aber nicht an meinem, sondern offensichtlich an deinem. Besonders die junge Generation in Japan wird immer weltfremder. Versuch doch mal mit einem jungen Japaner über Weltpolitik zu reden. Oder den 2. Weltkrieg. Und was die anderen Länder betrifft: Jo, Südkorea lasse ich noch gelten, obwohl selbst dort der Ausländeranteil höher ist als in Japan, aber Thailand und China? Besonders in Thailand siehst du an einem Tag mehr Ausländer als in Japan in einem ganzen Jahr. Und das habe ich nicht nur gehört.......

      Löschen
    2. Das hast du falsch verstanden^^. Ich war nicht als Lehrer (die Meinung kenne ich) auf der Schule, sondern als Schüler. Ich habe übrigens einige junge Japaner kennengelernt, die sich für Politik interessieren (ich hatte dort den Geographie/Politik-Kurs als Wahlfach belegt). In Thailand? Auf dem Land? Der Verlobte meiner Schwester unternimmt gerne mal Rucksacktouren durch die Welt... Naja, ist ja auch wurst. Ich wollte ja nur sagen, dass du nunmal "anders" bist, als die andern. "anders" ist nicht schlecht, nur halt dein größtes Merkmal aus Sicht von Leuten, die dich nicht ganz so gut kennen. Ich wünsche dir ja nur das Beste :)

      Löschen
    3. Na gut, ich verzeihe dir. Nein, ganz ernsthaft: Tut mir leid. Hast du mich jetzt wieder lieb?
      War ein Schuss ins Blaue, der leider nur allzuoft trifft. Ja, hier und da interessieren sich Japaner tatsächlich für Politik, haben aber weder eine fundierte Meinung, noch Sachverstand. Und wenn sie dann erst mal ins Leben eines Salariman abtauchen, sprich: der Rest des Nagels eingehämmert wird, ist es ganz vorbei. Erst später, mit zunehmendem Alter kommt dann wieder so was wie politisches Interesse auf. Leider dann nur zu oft in eine völlig falsche Richtung.......

      Löschen
    4. Ich hab nie aufgehört, dich lieb zu haben ;)
      Vielleicht habe ich einfach nur eine ganz spezielle Gruppe an Japanern kennengelernt. Wir hatten übrigens auch einen neuseeländischen ALT an unserer Schule. Der war aber ein großartiges Beispiel für einen Lehrer, wie ich fand. Deutlich kompetenter als viele der japanischen Lehrer. Von den Problemen, die es mit denen gibt, hab ich erst später erfahren und war richtig schockiert :P Ich hab mit meinem Umfeld da wohl einfach Glück gehabt.

      Löschen
  5. Komm mal nach Paris. Dort ist jeder 7te ein Ausländer. Es gibt Viertel da lässt du dich als Weißer besser nicht sehen. Außer in Neuilly-sur-Seine, da wirst du keine Ausländer finden. Da gehört Frankreich noch den Franzosen obwohl es Gesetzesvorlagen gibt die den Bau von Sozialwohnungen in jedem Stadtgebiet vorschreiben. So sieht das hier aus. Ansonsten ist von Integration auch hier keine Spur zu finden. Ein Ausländer ist ein Ausländer. In 5ten oder 6ten Generationen hat sich das verwachsen … dann gehören die Nachkommen endlich dazu :D

    Seit ca. 1984 gibt es in Deutschland keine Negerküsse mehr … selbst die hat man schon dort integriert. Die Politik bemüht sich redlich. Aber das hindert die einheimische Bevölkerung nicht daran das hin und wieder mal ein andersfarbiger zugezogener Ausländer auf offener Straße umkommt, falls der nicht schneller oder in Gruppen unterwegs ist und das Blatt sich wendet. Inzwischen saufen die Schwarzen, die keiner so wirklich haben will im Mittelmeer ab und in Brüssel rufen sie Europa auf, noch mehr Ausländer (Asylbewerber) auf zu nehmen. Und wenn man mal über den Teich (von Europa aus) schaut, dann brauch man über New York – z.B. – kein Kommentar mehr verlieren.

    Oder zieh mal von Bordeaux nach Paris. Selbst da bist du eine zugezogene Fremde, entwurzelt, fern der Heimat die nicht dazu gehört. Es reicht schon wenn der Dialekt anders ist und mit mandelförmigen Augen und schwarzen Haaren, dass ist sowieso schon mal ganz verdächtig. Also so etwas besonderes als Ausländer bist du nun wirklich nicht. ;D

    AntwortenLöschen
    Antworten
    1. Stimmt, ich bin nichts besonderes als Ausländer. Genau darauf will ich ja hinaus. Das die Situation in Europa immer schlimmer wird, will ich ja gar nicht abstreiten. Aber vergleichen will ich da auch nicht. Ich bin schließlich nicht nach Japan gekommen, um mich praktisch vollkommen ungebildet in die (in Japan eh nicht vorhandene!) soziale Hängematte zu legen und kräftig auf meine Gastgeber zu scheißen.

      Löschen
    2. Meh. Jap, Japaner sind Rassisten ... fact of live ...

      Kommt drauf an, sich darin gut einzurichten ...

      Gute Japanisch-Kenntnisse um auch mal Widerrede geben zu koennen sind auch gut.

      Löschen
  6. Sind die Japaner dann nicht eher Faschisten als Kommunisten? Und so schlimm ist Europa auch nicht. Hast du außerdem schonmal Deutsche erlebt, die versucht haben Asiaten zu integrieren? Ist auch eher die Minderheit und das obwohl es in Deutschland weitaus mehr Asiaten gibt, als Deutsche in Asien.

    AntwortenLöschen
  7. Hmmm... ich stimme dir in diesem Artikel vollumfänglich zu und bin auch absolut deiner Meinung.

    Trotzdem war ich erstaunt, dass ich mich unwillkürlich an eine Art der Ausgrenzung erinnert fühlte, die heute noch ganz viele für völlig naturgegeben halten.
    Man ersetze mal in deinem Text "Japaner" mit "Männer" und "Gaijin" mit "Frau".
    Da bekommst du genau diese selbe Scheiße zu hören. Jahrein, Jahraus.

    Wie das endlich aufhören soll, weiß ich leider auch nicht. Weder im Gaijin-, noch im anderen Fall.
    Man kann als Einzelperson dagegen ankämpfen und sich den Mund im persönlichen Umfeld fusslig reden. Man merkt dann vielleicht auch tatsächlich, dass man beim ein oder anderen etwas bewegt hat. Aber trotzdem bleibt der fahle Nachgeschmack, dass man gegen Windmühlen antritt...

    Und die einzige Option die man hat, ist tatsächlich: Leb damit und denk dir deinen Teil, wenn du auf Arschlöcher triffst, bei denen jede Mühe umsonst ist.

    AntwortenLöschen