D VS. J TEIL 4/Kultur pur.......

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Der Zugführer will mal wieder sparen, also lässt er die Klimaanlage aus, obwohl die Fenster im Zug total beschlagen sind. Durch die Wolke aus Naphthalin und käsigem Schweißgeruch zieht sich mal wieder ein hochprozentiger Mix aus Körpergasausscheidungen. Wer einmal an einer japanischen Teezeremonie mit ihren graziösen, ausgefeilten Bewegungen teilgenommen hat, kann sich über so manches Benehmen in der japanischen Öffentlichkeit nur wundern.

Als ich noch neu in der Firma war und auf unserem Firmenklo der Kollege neben mir am Pissoir kräftig einen fahren ließ, war ich noch der Meinung, das war ein „Ausrutscher“ und das es überall Schweine gibt. Mittlerweile weiß ich: Das ist hier vollkommen normal. Ok, das man in der Familie, oder unter sehr guten Freunden mal einen zischen lassen kann, ist ja irgendwie fast normal. Aber in der Öffentlichkeit?

Da wird gerotzt, geräuschvoll die Nase hochgezogen, gefurzt und gerölpst was das Zeug hält. Nein, nicht nur auf der Toilette, sondern auch beim fröhlichen Zusammensein (Saufen) unter Arbeitskollegen. Sich mit einem Tempo die Nase zu putzen ist total “pfui bäh!”, das macht man nur auf der Toilette, aber nicht zwischen anderen Leuten. Da zieht man lieber die Nase hoch und rotzt es dann auf den Gehweg. Ist ja auch viel ästhetischer. Aber halt, das hier gilt (fast) nur für die männlichen Japaner! J-Gals machen so etwas nicht. Und wenn sie dann doch mal ganz leise einen rausfiepen lassen, dann ist das, wie alles andere was J-Gals so machen, halt kawaii. Ende der Diskussion. Aus!

Die Japaner sind sehr stolz auf ihre einmalige Kultur. Naja, zumindest glauben sie das ihre Kultur einmalig ist und nur auf den japanischen Inseln entstehen konnte. Ich bin ja oft in Korea und glaubt mir, da sieht es fast genauso aus. Auch in China sehen die Tempel und Schreine genauso aus. Von den chinesischen Schriftzeichen mal ganz zu schweigen. Samurai und Geishas? Gabs in vergleichbarer Form auch in Korea. Und China.

Kleiner Firmenschrein mitten in Tokyo

Aber halt! Das Essen ist aber einmalig! Ja genau. Ramen kommt aus China, Curry aus Indien, Hamburg(er) sind auch keine japanische Erfindung und selbst Sushi gibt es als Gimbap schon ein wenig länger in Korea. Einzigartig ist wohl nur, das für japanisches Sushi roher Fisch verwendet wird. Das dem japanischen Sashimi ähnliche Hoe kennt man in Korea schon aus Zeiten, als die japanischen Inseln noch von der Urbevölkerung der Ainu besiedelt wurde. Ainu ist nicht ganz korrekt, da es durchaus mehrere Urvölker gab, aber allen gemeinsam ist, das sie systematisch zurückgedrängt, ja praktisch ausgerottet wurden. Aber ähnlich wie in den USA, gibt es auch in Japan für Touristen noch Siedlungen mit „echten“ , wenn auch stark japanisch durchmischten Ainu.

Anders als bei den europäischen Kirchen, gibt es kaum stark unterschiedliche Tempel und Schreine in Japan. Ja, es gibt lokale Unterschiede: “Du Yoshi guck mal, dieser Tempel hier hat 2 Säulen mehr als die bei uns in Kanagawa! Das ist ja uuuuunglaublich! Schnell, mach mal ein Foto!”, für die sich aber wohl nur Japaner interessieren. Bei den japanischen Burgen sieht es ein wenig anders aus, aber verglichen mit deutschen Burgen und Schlössern wirken diese sehr uniform und zerbrechlich und würden einem ordentlichen Ansturm einer Horde Ritter inkl. Katapulten und Belagerungstürmen keine 10 Minuten standhalten.

Das gleiche gilt wohl auch für die Samurai, die sicherlich in den innerjapanischen Kriegen einen durchaus gefährlichen Ruf hatten, aber schon bei der ersten Begegnung mit westlicher Kriegstechnologie, die dazu noch von unerfahrenen japanischen Soldaten verwendet wurde, praktisch komplett ausgerottet wurden. Trotzdem wird diese Kampf- oder auch Kriegskultur in Japan sehr hochgehalten.

Ja aber ...... aber ...... was ist denn mit den historischen Stätten, z.B. dem Weltkulturerbe Kyoto? Jo, es gibt ein paar schöne Ecken für Touristen in Kyoto, aber keine tatsächlich bewohnten historischen Städte, wie man sie in Deutschland zuhauf findet. Historische Stätten findet man in Japan nur vereinzelt, kaum zusammenhängend. Als ich zum ersten Mal nach Tokyo kam, immerhin die Hauptstadt Japans, war ich herbe enttäuscht das man historische Stätten wirklich suchen muss und das auf städtebauliche Schönheit in Tokyo absolut überhaupt keinen Wert gelegt wird. Versteht mich nicht falsch, Tokyo ist schon ne geile Stadt, aber eine Schönheit ist sie nicht. Und was historische Stätten angeht, stinkt sie, abgesehen vom Kaiserpalast, der ja auch nicht wirklich historisch ist, selbst gegen kleine deutsche Städte, wie zum Beispiel meine Heimatstadt Soest, mit ihrem historischem Stadtkern und sehr vielen Häusern aus dem Mittelalter, ganz gewaltig ab.

Eins der wenigen übriggebliebenen alten Stadthäuser

Im Grunde gilt das auch für Kyoto, das von den paar historisch aufbereiteten Stätten abgesehen, eine typisch bratzhässliche japanische Großstadt ist. Oft steht direkt neben den kulturhistorischen Bauwerken heruntergekommene Hochhäuser, oft sogar Fabriken! Und viele historische und auch religiöse Stätten sind mit Gerümpel vollgemüllt, das dort absolut nichts zu suchen hat.
Ein echtes Plus in Japan ist die Religionskultur. Da gibt es Buddhisten, Shintoisten, Christen und einige andere Religionen und alle leben wirklich friedlich nebeneinander. Für viele Japaner ist es vollkommen selbstverständlich, im traditionellen Gewand buddhistisch oder shintoistisch zu heiraten, sich dann umzuziehen und sich in einer christlichen Kirche vom „Fake“-Priester nochmal trauen zu lassen. Ich finde das toll: Mach was dir gefällt! Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, das es in Japan ca. 11.000 verschiedene „Religionsgemeinschaften“ gibt, von denen so einige durchaus zweifelhafte Motive haben. Siehe dazu auch: http://samurai-biker.blogspot.jp/2011/06/soka-gakkai-in-eigener-sache.html


Was ist denn dann so einzigartig an Japans Kultur?

Aus meiner Sicht:

Die Freundlichkeit der Leute. Klar, das mag in manchen, oder auch vielen Fällen nur eine Maske sein, aber das juckt mich als Kunde, oder als Arbeitskollege nicht. Es macht einem das Leben deutlich einfacher. Auch als Ausländer habe ich kaum jemals eine solche Ablehnung erfahren, wie sie bestimmte Gruppen in bestimmten Gegenden Deutschlands erfahren.

Die Natur. In welchem anderen Land hat man auf relativ kleinem Platz gleichzeitig subtropische Inseln mit Traumstränden, gewaltige Gebirgsketten mit aktiven Vulkanen, Nebel- und Regenwaldähnliche Gebiete mit intakter Großtierfauna, eine gigantische Megapolis wie Tokyo, trotzdem relativ dünn besiedelte Gebiete mit intakter Natur und kann diese dank der hohen Sicherheit auch vollkommen bedenkenlos erkunden? 
Trotz dem Image "Betonwüste", gibt es in Tokyo zahllose wunderschöne Parks, die man oft vollkommen überraschend hinter der nächsten Ecke, oder zwischen 2 hässlichen Hochhäusern findet.

Indian Summer im Inokashirapark

Die japanische Küche. Auch wenn viele Gerichte nicht ursprünglich aus Japan sind, wurden diese dem japanischen Verständnis von Perfektion angepasst. Man kann überall in Japan bedenkenlos essen gehen. Selbst im kleinsten Dorf und auch wenn das Restaurant schon ziemlich heruntergekommen aussieht, das Essen ist immer gut und gibt selten Anlass zu Beschwerden.

Der Baustil. Die paar alten Stadtvillen und Stadthäuser in Tokyo, die noch nicht von den Aasgeiern der Immobranche aufgespürt wurden, sind wunderschön. Ich mag die verwinkelte Bauweise mit vielen Räumen, Erkern Türmchen und Treppen. Und ich liebe Tatami (Bodenmatten), Schiebetüren mit Papierfenstern und Futons (Schlafstätte). Viele dieser Häuser haben noch ein Ofuro (Badezimmer) mit Steinfliesen und Holzbecken. Oft sind diese Häuser trotz des hohen Alters im Wohnbereich funktioneller isoliert als die neuen Pappbuden amerikanischer Bauart. Qualitativ besser ausgeführt sind sie sowieso.

Eingang zu einer sehr gepflegten Stadtvilla


Ein Thema für sich ist japanische Technologie, deshalb ist das auch eine ganz andere Geschichte........

Wird fortgesetzt.........


P.S.: Ich räume mal wieder meine Linkliste auf. Alle Blogs die brachliegen, längere Zeit nix neues bringen oder nichts mehr mit dem ursprünglichen Thema zu tun haben fliegen raus, dafür kommen ein paar neue mit rein. Sorry Leute, aber ist ja nichts persönliches. Falls ihr in Zukunft wieder mehr schreibt, meldet euch einfach. Über Anfragen zur Aufnahme in meine Linkliste freue ich mich sehr.



  1. Was ich noch super finde ist die Vielzahl an Kampfsportarten. Ohne die wäre mir nur Segeln geblieben. ;-)

    Wo mir gleich aufgefallen ist, dass du den Micha in der Blogliste hast. Aus dem RL bekannt oder machst du auch was in der Richtung?

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    1. Beides. Kenne Micha seit 8 Jahren oder so und mache auch was in der Richtung, nur das ich keine Waffe brauche, um mich zu verteidigen....

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    2. Nicht alle haben den +20-Vorteil. ;-)

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    3. Ach Papa-san... :D Als wäre es doch nur so einfach..

      Thuruk: Kennen wir uns persönlich?

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    4. Ist es Micha, ist es. Aber mir war klar das du darauf anspringst wie ein pawlowscher Hund......

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  2. Huhu!
    Danke für's verlinken :)
    Ich bin erst gestern? zum ersten Mal auf deinem Blog gelandet. Aber du schreibst wunderbar, danke!

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  3. Super interessant! Finde die japanische Kultur sehr faszinierend und werde öfters mal virbeischauen

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  4. Stimme dir größtenteils zu.
    Du weißt ja, dass ich ein großer Fan japanischer Schlößer bin.
    Die Idee mit dem Katapult ist ja ganz nett, aber du weiß schon wie viele Schlösser sehr weit oben auf einem Berg waren, oder? Da hätte man nie im Leben ein Katapult raufgebracht. ;)

    Ich stimme dir bei der Natur zu. Auf so kleinem Raum so viele verschiedene Facetten. Ich liebe es und ich erkunde immer mehr und mehr (ist ja nicht so als wäre Schluß nachdem ich alle 47 Präfekturen bereits bereist habe).

    Mir gefällt diese neue Blogserie wirklich gut. Weiter so! :D

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    1. Ich mag die japanischen Schlösser ja auch. Eigentlich müssten sie ja Burgen heissen, denn genau diese Funktion haben sie ja, auch wenn sie einem Vergleich mit den deutschen Trutzburgen natürlich nicht standhalten. Schön anzuschauen sind sie aber trotzdem und die vielen Fallen und Irrwege, die um die Schlösser angelegt wurden, finde ich extrem interessant. Und zum Katapult: Wenn du dich auch mal ein bisschen mit deutscher Geschichte befassen würdest, dann wüsstest du, das diese Katapulte entweder transportabel waren oder direkt vor Ort gebaut wurden. Da viele der Soldaten auch Handwerker waren, ging das relativ fix. Und da die japanischen Burgen ja überwiegend aus Holz waren, brauch es kein Ungetüm von Katapult. Ein kleines mit dem man angezündete Teerbälle auf/ins Schloss schiessen kann, reicht da schon. Fies was?

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    2. Sich mit deutscher Geschichte auskennen?
      Wer macht denn sowas!! ;)

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    3. siehe Gifu, schickes Minischloss hoch aufm Berg (mit noch schickerer Aussicht), aber trotzdem von nur 5 -oder waren es gar sieben?- Ninja niedergebrannt - aus die Maus, ganz ohne Katapult

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  5. Mich hats sowieso gewundert, wieso du meinen alten Blog überhaupt in deiner Linkliste hattest :-P

    Japanische Burgen sind toll. Ebenso die japanische Natur mit ihren verschiedenen Klimazonen. Ich mag auch die alte japanische Architektur sehr. Wenn ich ein sehr großes Grundstück hätte und sehr reich wäre, würde ich mir im Garten eine kleine mittelalterliche japanische Hütte von extra dafür eingeflogenen Japanern bauen lassen ^^

    Wer kennt das Spiel "Mystical Ninja: Starring Goemon" für den N64? Dazu gibts auch ein Anime. Ich weiß nicht wie realitätsgetreu das Abbild des mittelalterlichen Japan im Spiel ist, ich habs aber immer sehr gerne gespielt, weil ich da echt das Gefühl hatte, im alten Japan zu sein :-)
    Ich glaub am WE werd ichs mal wieder spielen.

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    1. Haha, ich hab immer gehofft das du deine Zombiestory weiterschreibst....

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    2. Sobald ich mal ein bisschen Zeit übrig habe, schreib ich daran weiter :-)
      Schreiben macht ja schon spaß und ich hab soo viele Ideen im Kopf, aber bei einer gefühlten millionen Hobbies kann ich leider nich alles tun, was ich gerne tun würde und muss mich dann entscheiden ^^
      Aber die Zombiestory is nich vergessen und ich hab auch noch ein paar Notizen und es geht sicher bald weiter :-)
      Ich muss mal daran denken, mir die neuste Version von Project Zomboid zu installieren und zu spielen, dann bekomm ich bestimmt auch wieder Lust an der Zombiegeschichte zu schreiben ^^

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  6. Ach ja, die guten alten Samurai. Die meisten waren wohl alles andere als Überkämpfer, sondern eher verbeamteter Adel - zumindest in der Edo-Zeit. Und davor? Eher vergleichbar mit unseren Landsknechten. Das Samuraischwert gilt selbst bei nicht-japanophilen Waffennarren als das non plus ultra der Hiebwaffentechnik. In Wahrheit eine ziemlich fragile Angelegenheit aus recht minderwertigem Stahl. Ich weiß auch nicht, weshalb die Jungs sich ununterbrochener Beliebtheit erfreuen. Hollywood, nehme ich an.

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    1. Also bitte, das non plus ultra ist immer noch das Lichtschwert. ;-) Und die Fernsehbeiträge sind nicht zu vergessen.

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    2. Wirklich toller blog, auch erst vor kurzem entdeckt, aber habe jetzt alles das erste mal durch.
      War auch "schon" drei Mal drüben (just tourism) und war auch bei mir witzig, wie sich die Sicht auf die Dinge durchaus berändert hat (beim ersten Mal alles so YEAHHH usw.).
      Hau rein!

      CCK

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  7. Hi Coolio! :) Würde mich freuen wenn du meinen neuen Blog auch aufnimmst: http://sweethomejapan.wordpress.com/ Ich hoffe wir sehen uns dieses Jahr noch mit Miyuki zum Bier trinken. ;) LG Cori

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    1. Mach ich gern, sobald ich meinen Link in deiner (nicht vorhandenen?) Linkliste sehe......

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    2. Ja stimmt die fehlt. xD Erledigt! ;)

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