Mein Haus, mein Auto, mein Fahrrad?

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Hätte ich doch bloß nicht das Nasenspray genommen. Jetzt bläst mir der Typ, der mir gegenüber im Zug sitzt, seine Alkohol-Ammoniakfahne mitten in meinen riechsensorischen Nahbereich und ich kann es dank Nasenspray auch mehr als deutlich riechen. Würg! Ist ein typischer Salaryman: Schwarzer Anzug, schwarzer Schlips, schwarze Schuhe, schwarze Haare. Ab einem gewissen Alter sind die Haare meist gefärbt und lichte Stellen mit schwarzem Puder „ausgebessert“. Woran man das sieht? Wenn die Haare pechschwarz sind, aber die aus den Ohren und Nase wachsenden Haare sind grau, dann ist das schon mal ein Anhaltspunkt.

Wenn es regnet und sich am Hemdkragen ein schwarzer Rand breitmacht, ist auch das ein sicheres Zeichen für -ich nenne es mal- „Ausbesserungspuder“. Dieses Exemplar schläft natürlich im Zug, das Maul sperrweit offen und seinen Atem an den gelben, schiefen Zähnen und der belegten Zunge vorbeischnaufend. Das Geräusch das er dabei macht, kommt von ganz tief innen und hört sich irgendwie an, als ob tief unten in seiner Lunge ein großes Tier durch trockene Blätter schlurft. Sein Kopf lehnt am Fenster, wo seine fettigen Haare einen ordentlichen Ölfleck hinterlassen. An seinen grauen Nasenhaaren (Aha!) reihen sich kleine Tropfen Nasenrotz auf, wie auf einer Perlenkette. Herrlich!

Ich muss Respekt zollen. Nein, nicht ihm, sondern seiner Ehefrau, die sich eventuell ab und zu noch diesem olfaktorischem Gesamtkörpererlebnis hingeben muss, damit sie mal wieder eine neue Lousy Vuitton-Handtasche bekommt, oder die Kinder eine Zahnspange (Playstation). Thumbs up, Lady! Auch der schlimmste Horror ist mal vorbei........


Aber ich schweife mal wieder ab. Eigentlich will ich heute etwas über die erstaunliche Vielfalt von Fahrrädern mit Autonamen sprechen, die man hier in den Bikeläden oder Supermärkten findet. Oft steht auf den Rädern „Officially licensed“, was ich aber aufgrund der Qualität (billigste China- oder Indienware) kaum glauben mag. Hier ein paar Bilder die ich bei Donki gemacht habe:


Hier erstmal ein Gesamteindruck: Fast alles Fahrräder für echte J-Machos, also Klappräder...

Hier die originalen Corvette- und Hummer-Bikes, die zwar qualitativ ziemlich nah  an ihre Namensvettern kommen, aber irgendwie bei weitem nicht so bullig wirken.

Hier ein Mini-Rad. Passt sogar irgendwie. Ist natürlich auch ein "Hochqualitäts"-Klapprad und hat die  gleiche Qualitätsanmutung und Haptik wie das originale Mini-Cockpit.

Ein "echtes" VW-Bike darf natürlich auch nicht fehlen.....

Oha! Ein Renault. Gefiel mir eigentlich ganz gut und war -im Gegensatz- zu den Autos auch ziemlich hochwertig verarbeitet und ein echtes Männermodell mit Rahmenstange, also für J-Dudes ungeeignet, weil: "Oi Yoshi-Kun, wo willst du denn an dem Rad deinen Korb und den Regenschirmhalter befestigen???"

Einen Alfa Romeo gibts auch. Machte sogar einen ziemlich guten Eindruck.

Hier nochmal eine Nahaufnahme von DEM Machobike überhaupt. Natürlich auf die Stehhöhe von einem durchschnittlichem J-Dude angepasst......

Ein Ferraribike gibt es natürlich auch noch, Obwohl ich mir nicht vorstellen kann,  das dieses nicht besonders hochwertige Rad tatsächlich von Ferrari lizensiert wurde. Na, mal sehen wie lange es noch da hängt......

Health Commander

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Auf der Waage steht in großen Lettern "Health Commander".

"Komisch, ich dachte eigentlich das man abnimmt, wenn einem der Magen ausgepumpt wird."

"Nein. Die entnommene Magenflüssigkeit wird ja ersetzt. Ansonsten würden sie sich fühlen, als ob sie einen lebendigen Igel im Magen hätten. Glauben sie mir, das dazu benutzte Gerät wollen sie nicht sehen."

Ich glaube ihm. Ich fühle mich auch so schon, als hätte man mir mit einer Drahtbürste den ganzen Dreck aus den Eingeweiden gescheuert. Schön ist das nicht.

"Trotzdem fühle ich mich so, als ob alles schlechte aus mir verschwunden ist."

"Das meiste schlechte sitzt in ihrem Kopf. Den dürfen wir leider nicht auspumpen."

Aus dem Augenwinkel nehme ich die Bewegung einer anderen Person wahr. Es ist wieder die stumme Krankenschwester. Und wieder nickt sie unterstützend. Die arme Frau.

"Was ist los mit ihr? Kann sie nicht sprechen?"

Der Arzt lächelt: "Nein, ihr Glaube verbietet es ihr, böse mit ihnen zu sein, oder schlecht über sie zu denken. Deshalb sagt sie lieber gar nichts."

"Aha."

„Gehen sie jetzt heim. Am besten legen sie sich erstmal ein paar Stunden hin. Medizin gebe ich ihnen erstmal keine. Schlafen ist die beste Medizin. Alkohol verbietet sich natürlich von selbst. Ihr Verdauungssystem soll sich erstmal erholen."

Leuchtet mir ein. Nur bei dem Gedanke an Alkohol wird mir sofort schlecht.


Als ich gedankenverloren am Bahnsteig stehe, fällt mir zum ersten Mal auf, wieviel Staub im Lichtstrahl der LED-Strahler tänzelt. Kommt mir vor wie in Zeitlupe. Ist schon unglaublich, wieviel Staub eine Riesenmenschenmenge von sich gibt. Schon morgens um halb 10 liegen schon richtige Staubwürste auf den Treppenstufen in Shibuya Eki. Der Zug fährt ein. Langsam tastet sich der Fahrer an den Haltepunkt heran. Die Türen öffnen sich. Eigentlich ist genug Platz auf den Bänken, aber ich bleibe stehen. Ich habe Angst das mir schlecht wird. Ich schaue mir die Leute an.

Ein kleiner dicker Mann steht dicht an die Tür gepresst, obwohl Platz genug ist im Abteil. Er schwitzt stark und putzt sich ca. alle 20 Sekunden mit einem Taschentuch durchs Gesicht und über den Nacken. Sein Hemd liegt so nah am Hals an, das es seinen Haaransatz praktisch ganz weggescheuert hat. Irgendwie tut er mir leid. Sicher ist er ein ganz lustiger Kerl. Ob seine Leberwerte wohl genauso schlecht sind wie meine? Seine Cholesterolwerte ganz sicher. Ob er sich deshalb so versteckt? Ich weiss es nicht.

Neben mir steht ein junger Salaryman, der die ganze Zeit auf meine Grand Carrera schaut. Sein Gesichtsausdruck spricht Bände: „Dieses Gaijinarschloch hat eine Uhr die mehr kostet als mein gesamter Besitz und ich weiss nicht wie ich meine Freundin zum Essen einladen soll. Ich hasse ihn!“ Ich verzeihe ihm. Schliesslich war ich auch mal jung und arm und wusste nicht, wie ich meine Freundin zum Essen einladen soll. Ich hab dann meistens nebenbei gearbeitet. Ob er auch nebenbei arbeitet?

Mir gegenüber sitzt eine junge Frau. Sie ist sehr schlank und hat schöne lange Haare, mit denen sie ihr total verpickeltes Gesicht verdeckt. Hm, unter den Pickeln steckt bestimmt ein schönes Gesicht. Einen schönen Mund hat sie ja. Küssen will ich sie trotzdem nicht. Zumindest nicht ins Gesicht. Am liebsten würde ich ihr das Geld für ein Set von "Pro Activ" zustecken. Ihr fällt auf das ich sie beobachte. Sie schaut verschämt in ihr Buch. Rot wird sie nicht. Ich hab noch nie gesehen, das ein Japaner rot wird. Das gibt es wohl nur bei uns Weissen. Trotzdem nennen wir alle anderen Rassen „farbig“. Komisch.

Was sie wohl über mich denken? Wahrscheinlich, das ich irgendwie krank aussehe. Bingo! Der Dicke kann mich nicht sehen. Er schaut starr aus dem Fenster und schwitzt. Der junge Salaryman denkt bestimmt: „Wieviel der wohl im Jahr verdient?“ Hier in Japan denkt man immer an den Jahresverdienst, nicht an den Monatslohn. Liegt wohl daran, das viele ihren Jahresbonus fest zum Gehalt rechnen müssen. Ich nicht. Aber vielleicht denkt er auch darüber nach, das er mich am liebsten überfallen und mir meine Uhr wegnehmen will. Ihm passt sie bestimmt nicht. Seine Arme sind viel zu ausgemergelt. Die kleine Pickelfee gibt sich alle Mühe mir nicht mehr ins Gesicht zu schauen. Ich merke, das sie mich „über Bande“ im spiegelnden Fenster beobachtet. Sie hat bestimmt ein schönes Gesicht. Schade. Der Papierumschlag ihres Buches ist verrutscht. Auf dem Einband kann ich Pferde sehen.

Meine Station wird angekündigt. Als sich die Türen öffnen, wanke ich auf den leeren Bahnsteig. An meiner Station steigen nicht viele Leute aus. Mir ist speiübel. Ich setze mich erstmal auf die Holzbank und atme durch. Wie ein alter Mann. Der alte Mann und die Stadt........